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Denn wie kommen Marcion und Manichäus zum Evangelium, da sie das Gesetz läugnen? Denn vom Alten kommt das Neue, und das Neue gibt für das Alte Zeugnis. Wie werden aber die, so das Letztere läugnen, dem zustimmen, was aus Ersterem kommt? Paulus ist nämlich zum Apostel des Evangeliums geworden, das er durch seine Propheten in den heiligen Schriften vorher verheissen hatte.1 Der Herr selbst aber sagte: „Erforschet die Schriften, weil sie es sind, die von mir Zeugniß geben.„ 2 Wie werden sie also den Herrn bekennen, wenn sie nicht, was von ihm geschrieben steht, zuvor erforschen? Denn von dem Moses und die Propheten geschrieben haben, den versichern die Jünger gefunden zu haben.3 Was nützt ferner den Sadducäern das Gesetz, wenn sie die Propheten verwerfen? Denn Gott, der das Gesetz gegeben hat, verhieß im Gesetze auch, die Propheten zu erwecken, so daß der Nämliche Herr des Gesetzes und der Propheten ist, und wer das Eine davon läugnet, nothwendig auch das Andere läugnet. Was nützt weiters den Juden das alte Testament, da sie den Herrn, S. 15 der in demselben in Aussicht gesetzt wurde, nicht erkannt haben? Denn hätten sie den Schriften des Moses geglaubt. so würden sie auch den Worten des Herrn geglaubt haben; „denn von mir“, sagt er, „hat er geschrieben,„ 4 Was nützt dem Samosatener die Schrift, da er das Wort Gottes und die Ankunft des Wortes im Fleische läugnet, welche in beiden Testamenten, im alten und neuen, verkündet und dargelegt wird? Und wozu dient die Schrift den Arianern, und wozu berufen sie sich auf diese, da diese Menschen doch behaupten, daß das Wort Gottes ein Geschöpf sei, und da sie gleich den Heiden das Geschöpf statt des schaffenden Gottes anbeten?5 Denn in der eigenen Gottlosigkeit der Erfindung steht jede dieser Häresien außer jeder Gemeinschaft mit der Schrift. Und das wissen auch die, welche ihre Sache vertreten, daß die Schrift sehr, ja vielmehr ganz und gar der Ansicht einer jeden derselben entgegengesetzt ist. Um aber die Einfältigen zu hintergehen, wie die sind, von denen in den Sprüchwörtern geschrieben steht: „Der Unverdorbene glaubt jeder Rede,“6 stellen sie sich wie ihr Vater, der Teufel, als ob sie die Aussprüche der Schrift beachteten und sich demselben bedienten, damit es durch die Aussprüche den Anschein gewinne, als ob sie die rechte Ansicht hätten, und sie von nun an die unglücklichen Menschen dahin bringen, anders zu denken, als die Schrift lehrt. Gewiß hat bei jeder Häresie der Teufel in dieser Weise sich verstellt und Aussprüche der Schrift voll von Hinterlist eingeflüstert. Denn es hat von ihnen der Herr gesagt: „Es werden falsche Christus und falsche Propheten aufstehen und Viele in Irrthum führen.„7 Es kam also der Teufel und sagte in jeder: „Ich bin Christus, und ich habe die Wahrheit,“ und der Ränkevolle brachte zuwege, daß sie alle einzeln und gemeinsam logen, und in auffallender Weise verbanden sich alle Häresien, obschon sie sich gegenseitig in den Verkehrtheiten, die jede erfand, bekämpften, nur in der S. 16 Lüge mit einander. Sie haben nämlich ein und denselben Vater, der unter ihnen allen die Lüge aussäte.8 Der gläubige Jünger des Evangeliums, welcher die Gnade besitzt, das Geistige zu unterscheiden, und sein Haus des Glaubens auf den Fels gebaut hat.9 steht fest und ist beständig sicher vor ihrem Betruge. Ist aber Einer, wie ich vorhin sagte, einfältig und nicht gründlich unterrichtet, so wird ein Solcher, da er nur auf die Reden schaut und nicht ihren Sinn erwägt, sogleich durch ihre Kunstgriffe fortgerissen. Deßhalb ist es geziemend und nothwendig, zu beten, daß man die Gnade der Unterscheidung der Geister empfange,10 damit Jedermann nach der Ermahnung des Johannes einsehe, welche Menschen man von sich weisen, und mit welchen man als mit Freunden und Genossen des nämlichen Glaubens in Verkehr treten soll. Man könnte nun Vieles schreiben, wenn man hierüber umständlich handeln wollte. Denn groß und mannigfaltig wird die Gottlosigkeit und böse Gesinnung der Häresien und gar erstaunlich die Verschmitztheit der Betrüger erscheinen. Da aber die göttliche Schrift einen höheren Werth als Alles hat, so rathe ich deßhalb denen, die hierüber eine umständliche Belehrung wünschen, die göttlichen Bücher zu lesen, und mache ich mich jetzt daran, auf das einzugehen, was am Dringendsten ist, und weßhalb ich vorzugsweise diese Schrift abfasse.
