2. Die Katechesen des hl. Cyrillus.
Der große Kaiser Konstantin hatte, wie wir aus seinem durch Eusebius1 erhaltenen Schreiben an Bischof Makarius von Jerusalem wissen, die Weisung gegeben, daß „alles, was es in irgendeiner Stadt an Schönheiten gibt, übertroffen werden müsse von dem Bau“, welchen er an der Stätte der Vollendung unserer Erlösung errichten ließ. Nach zehnjähriger Bautätigkeit wurden am 13. September des Jahres 336 die Prachtbauten am Grabe des Erlösers — eine Schöpfung des syrischen Architekten Zenobius — mit unerhörter Feierlichkeit eingeweiht. Wir haben an diesen Bauten drei Hauptteile zu unterscheiden, nämlich von Ost nach West: 1. die Konstantinsbasilika, 2. den auf drei Seiten von Säulenhallen umgebenen Binnenhof, das atrium grande, ubi crucifixus est Dominus2, und 3. den Rundbau der Anastasis mit dem heiligen Grabe3. Dies sind die S. 7 Stätten, wo die Täuflinge Jerusalems in der Fastenzeit für den Eintritt in die Kirche vorbereitet wurden, wo sie an Ostern die Taufe, die Firmung und das allerheiligste Sakrament des Altares empfingen, wo sie in der auf das Osterfest folgenden Woche durch die sogen. mystagogischen Katechesen über die erhabensten Geheimnisse der christlichen Religion unterrichtet wurden. Bischof Cyrillus von Jerusalem hat an diesen heiligen Stätten durch die ersten neunzehn Katechesen die Täuflinge für den Eintritt in die Kirche und für den Empfang der heiligen Sakramente vorbereitet und sie durch die fünf mystagogischen Katechesen über die Geheimnisse belehrt, die den Nichtgetauften verschlossen bleiben mußten. Diese Katechesen sind aber nicht alle an ein und derselben Stelle vorgetragen worden. In Katechese 18, 33 schreibt nämlich Cyrillus: „Nach dem heiligen, heilbringenden Ostertage werdet ihr schon vom Montag ab an jedem Tage der Woche am Schlusse der Messe an die heilige Stätte der Auferstehung gehen, um, so Gott will, noch weiteren Unterricht zu erhalten.“ Aus diesen Worten ergibt sich, daß die in der Osterwoche gehaltenen mystagogischen Katechesen an anderer Stelle vorgetragen worden sind als Katechese 18. Während die mystagogischen Katechesen — wie diese Worte lehren — in der Grabeskirche stattfanden, wurde die achtzehnte Katechese entweder in der Konstantinsbasilika oder an der Stelle, wo das Kreuz Christi stand, also im Binnenhof, gehalten. An eine dieser beiden Stellen sind wohl auch die meisten übrigen Katechesen zu verlegen. Mehrfach erklärt Cyrillus in den ersten sechzehn Katechesen, daß er auf dem Golgatha spreche4. Da die S. 8 Prokatechese nach Kap. 4 in der Kirche gehalten wurde, in welcher der Bischof die Anmeldung der Täuflinge entgegennahm, und da nach dem Reiseberichte der Pilgerin Aetheria (bezw. Egeria)5 diese Inskription durch den Bischof in der großen Basilika vorgenommen wurde, haben wir die Prokatechese eben dahin zu verlegen. Außer den fünf mystagogischen Katechesen wurde aber jedenfalls noch die vierzehnte Katechese, deren Thema die Auferstehung ist, in der Grabeskirche gehalten; denn in Kap. 14 dieser Katechese schreibt Cyrillus: „Vom frommen Sinn der jetzigen Kaiser ist diese heilige Kirche, in der wir sind, die Kirche der Auferstehung des göttlichen Erlösers, erbaut worden“6.
Nach Katechese 6, 20 waren damals, als Cyrillus seine Katechesen hielt, seit dem Auftreten des Manes unter Kaiser Probus (276―282) volle siebzig Jahre verflossen. Da nun Eusebius7 das Auftreten dieses Irrlehrers in das Jahr 278, der hl. Leo8 in das Jahr 277 verlegt, so sind die Katechesen frühestens 347 oder 348 gehalten worden. Da in Katechese 14, 14 auf den frommen Sinn der „jetzigen Kaiser“ hingewiesen ist und nach der fünften mystagogischen Katechese Kap. 8 nach der Eucharistie „für die Kaiser“ gebetet wird, hatten Touttée u. a. geschlossen, die Katechesen seien zu einer Zeit vorgetragen worden, als Konstantius noch nicht Alleinherrscher war, also noch vor 350. Von diesen beiden Stellen ist aber nur die letzte beweiskräftig; denn 14, 14 kann ebensowohl an die Brüder Konstantius, Konstans und Konstantin wie an den verstorbenen großen Konstantin und dessen Sohn Konstantius gedacht werden. Zur näheren chronologischen Feststellung der S. 9 Katechesen ist noch Katechese 14, 10 und Katechese 14, 24 zu verwerten. Nach der ersteren Stelle hatte der Monat Xanthikos, der mit dem 24. oder 25. März beginnt, bereits angefangen und waren vor wenigen Tagen die Äquinoktien, der 21. März (nach alexandrinischer Berechnung). Nach Kap. 24 ist die vierzehnte Katechese an einem Montag gehalten worden: τῇ χθὲς ἡμέρᾳ κατὰ τὴν κυριακὴν [tē chthes hēmera kata tēn kyriakēn]. Da die 14.―18. Katechese, wie sich aus dem ganzen Zusammenhang ergibt, an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen und nahe vor Ostern (vgl. besonders 18, 32 f.) gehalten wurden, ist der Montag, an welchem die vierzehnte Katechese gehalten wurde, der letzte Montag vor Ostern gewesen9. Das Datum des Ostertages und des Montages in der Karwoche gibt nun für die Jahre 347―349 die folgende Tabelle:
Jahr: Ostertag: Montag der Charwoche: 347 12. April 6. April 348 3. April 28. März 349 26. März 20. März
Nur das Jahr 348 kann, wie diese Tabelle zeigt, für Abhaltung der Katechesen in Betracht kommen. Denn in diesem Jahre hatte an dem Montag der Charwoche, an welchem die vierzehnte Katechese stattfand, der Monat Xanthikos bereits begonnen und waren vor kurzem die Äquinoktien.
Unter den 24 Katechesen können wir mehrere Gruppen unterscheiden. Bereits kennen wir zwei Gruppen von je fünf Katechesen: die fünf mystagogischen Katechesen und die fünf in der Charwoche gehaltenen Katechesen 14―18. Zeitlich gehören auch enge zusammen die Prokatechese mit den vier ersten Katechesen; alle fallen nämlich nach ausdrücklicher Angabe in die ersten Tage der Fastenzeit. Aber auch inhaltlich gehören sie S. 10 zusammen, da sie die Vorbereitung oder Einleitung bilden zu der mit Katechese 5 beginnenden und mit Katechese 18 abschließenden Behandlung des Glaubensbekenntnisses. Innerhalb dieses Abschnittes 5―18 lassen sich außer der erwähnten Gruppe 14―18 wohl noch zwei weitere Gruppen unterscheiden. Eine inhaltlich geschlossene Gruppe bilden die Katechesen 6, 7, 8 und 9; diese Gruppe werden wir aber wohl durch die fünfte Katechese ergänzen dürfen. Nun bleiben noch übrig die vier Katechesen 10―13, von welchen die elfte am Tage nach der zehnten, diese aber an einem Montag gehalten worden ist. Wir haben also vier Gruppen zu je fünf Katechesen und außerdem noch diese vier Katechesen 10―13. Sollte nun nicht etwa auch diese Gruppe ursprünglich aus fünf Katechesen bestanden haben? Diese Frage drängt sich unwillkürlich auf. Tatsächlich muß auch zwischen Katechese 13 und 14 ursprünglich noch eine Katechese gestanden haben, und zwar eine Katechese über den Descensus ad inferos. Eine Belehrung hierüber vermissen wir nämlich zwischen der dreizehnten Katechese, der Lehre über die Kreuzigung Christi, und der vierzehnten Katechese mit dem Thema der Auferstehung Jesu. Aber hat Cyrillus bzw. hat das von ihm benützte Symbolum zu Jerusalem diesen Descensus gekannt? Darauf gibt uns Katechese 4 Antwort. Dieselbe bietet einen summarischen Überblick über den gesamten Inhalt des Symbolums und erwähnt nach der Kreuzigung ausdrücklich in Kap. 11 das Begräbnis Jesu und seine Höllenfahrt (vgl. auch Kap. 12 und Kap. 14). Cyrillus muß darüber also auch bei der ausführlichen Behandlung des Symbolums eingehend belehrt haben10. Und dies hat er getan in der verloren gegangenen Katechese, welche zwischen Katechese 13 und 14 gestanden hat11. Wir können also fünf Gruppen S. 11 von je fünf Katechesen unterscheiden. Da die fünf mystagogischen Katechesen in einer Woche — von Montag bis Freitag — gehalten wurden, ebenso, wie wir gesehen haben, die Katechesen 14―18, so liegt der Schluß nahe: jede der erwähnten Gruppen ist in je einer Woche gehalten worden. Die erste Gruppe ist in die erste Fastenwoche, die vierte in die Charwoche, die fünfte in die Osterwoche zu verlegen; doch bezüglich der zweiten und dritten Gruppe läßt sich nicht bestimmt sagen, in welche Woche der Fastenzeit sie zu verlegen sind12.
Der Verfasser der Katechesen ist Cyrillus, Bischof von Jerusalem. Schon die Zeit- und Ortsverhältnisse, welche wir soeben aus den Katechesen gelernt haben, legen es nahe, an diesen Bischof Jerusalems zu denken. Die Echtheit der Katechesen wird mehrfach bestätigt. Bereits Hieronymus13 schreibt, Cyrillus habe „in seiner Jugend“ Katechesen verfaßt, und vor Hieronymus hat Niceta von Remesiana stillschweigend Cyrills Katechesen benützt14. Von den Katechesen Cyrills spricht auch Theophanes in seiner Chronographie15. Ferner zitieren viele andere griechische Schriftsteller sowie das zweite Konzil von Nicäa bald die eine, bald die andere Katechese, bald mit, bald ohne Nennung des Autors. Nach den Handschriften16 ist, wie es scheint, Cyrillus jedenfalls Verfasser der ersten neunzehn Katechesen. Bezüglich der mystagogischen Katechesen wird allerdings die Autorschaft Cyrills von den Handschriften nicht S. 12 allgemein bestätigt. Der cod. graec. Monacensis 394 legt die mystagogischen Katechesen dem Bischof Johannes von Jerusalem, dem Nachfolger Cyrills, bei, die codd. Ottobonianus und Monacensis gr. 278 dem „Cyrillus und Bischof Johannes“17. Trotz dieser abweichenden Angaben und trotz der nicht zu leugnenden stilistischen Unterschiede können aber auch die mystagogischen Katechesen demselben Verfasser zugewiesen werden wie die ersten neunzehn Katechesen. Denn einerseits wird zurückgewiesen mit den Worten: „Darüber wurde in den einzelnen mystagogischen Katechesen gelehrt wird, andererseits wird in der ersten mystagogischen Katechese Kap. 9 auf das in den früheren Katechesen Gelehrte zurückgewiesen mit den Worten: „Darüber wurde in den früheren Katechesen, wie es die Gnade Gottes gegeben hat, ausführlich zu dir gesprochen.“ Äußere Zeugnisse für das Eigentumsrecht Cyrills an den mystagogischen Katechesen geben Eustratius von Konstantinopel, Anastasius Sinaita u. a.18.
Cyrillus ist zwar der Verfasser unserer Katechesen. Aber er hat sie nicht selbst niedergeschrieben. Die schriftliche Abfassung ist das Werk eines Zuhörers, wie eine in den Handschriften befindliche Bemerkung bezeugt19. Die Schwächen und Inkorrektheiten des Textes lassen wohl darauf schließen, daß das Stenogramm dieses Zuhörers keiner Revision mehr unterstellt worden ist.
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„Leben Konstantins“ III, 30―32. ↩
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So berichtet ein noch vor 460 entstandenes Schriftchen, das unter dem Titel „Breviarius, quomodo Hierosolima constructa est“ überliefert ist. ↩
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Daß die Konstantinsbasilika nicht mit der Anastasisrotunde eine einheitliche Riesenkirche bildete, daß wir dieselben vielmehr als zwei räumlich durchaus selbständige Bauglieder zu betrachten haben, haben dargetan J. Strzygowski „Orient oder Rom“ (Lpz. 1901) S.127 ff., A. Baumstark „Die Heiligtümer des byzantinischen Jerusalem nach einer übersehenen Urkunde“ : Oriens christianus 5, (1905) S. 227 ff., A. Heisenberg „Grabeskirche u. Apostelkirche“ I (Lpz. 1908). Dagegen hatte C. Mommert „Die hl. Grabeskirche zu Jerusalem in ihrem ursprünglichen Zustand“ (Lpz. 1898) und „Golgatha u. das hl. Grab zu Jerusalem“ (Lpz. 1900) behauptet, die genannten Bauten hätten eine einheitliche, von einem einzigen Dache gedeckte Riesenkirche gebildet. ↩
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Vgl. Katech. 1, 1; 4, 10; 5, 10; 10, 19; 13, 4. 22 (καὶ βλέπομεν καὶ ψηλαφῶμεν, scil. τὸν πανάγιον τοῦτον Γολγοθᾶ) [kai blepomen kai psēlaphōmen scil. ton panagion touton Golgotha] d. 23 (ὁρᾶς τοῦ Γολγοθᾶ τὸν τόπον) [horas tou Golgotha ton topon]. 26. 28. 38; 16, 4. ↩
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Ihr Aufenthalt in Palästina fällt in die Jahre 383―385. Einen Auszug aus ihrer Peregrinatio in deutscher Übersetzung gibt Heisenberg, a. a. O. S. 80 f. Vollständig, soweit sie erhalten ist, wurde sie übersetzt von H. Richter (Essen 1919). ↩
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Vgl. auch Kap. 22 derselben Katechese. — F. Probst „Katechese u. Predigt vom Anfang des 4. bis Ende des 6. Jahrhunderts“ (1884) S. 111 verlegt diese Katechese in die Apostelkirche auf Sion. ↩
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Eusebii Chronicorum libri duo, ed. Schöne II, 185. ↩
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Sermo II, de Pentecost. c. 6 (Migne, P. l. 54, 408 f.). ↩
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Heisenberg, a. a. O. S. 54 behauptet, die Katechesen 14―18 seien in der vorletzten Woche vor Ostern gehalten worden. Er stützt sich auf den Reisebericht der Pilgerin Aetheria, wonach in der letzten Woche vor Ostern in Jerusalem keine Katechesen stattgefunden hätten. Allein Heisenberg muß selbst S. 59 gegen Cabrol erklären, daß sich zwischen der Zeit, da unsere Katechesen gehalten wurden, u. dem Besuche Aetherias in Jerusalem manches im Unterricht der Täuflinge verändert habe. ↩
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Trotzdem sich aus der 4. Katechese mit Sicherheit schließen läßt, daß das Symbolum Jerusalems den Descensus kannte, bestreiten Harnack („Dogmengeschichte“ ³ II, S. 65) u. Kattenbosch („Das apostolische Symbol“ I, S. 240. A.), daß das jerusalemische Symbol die Höllenfahrt Christi enthalten habe. ↩
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F. Cabrol, „Etude sur la Peregrinatio Silviae. Les églises de Jérusalem, la discipline et la liturgie au IV. siècle“ (Paris 1895) S. 156 hält den Ausfall zahlreicher Katechesen für möglich. ↩
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Heisenberg a. a. O. S. 79 unternimmt es, für jede einzelne Katechese Datum und Wochentag zu bestimmen. ↩
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De viris ill. 112. ↩
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Patin, „Niceta“ (München 1909) S. 55―65. ↩
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Migne, P. gr. 108, 141. ↩
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Von den Handschriften seien erwähnt: Cod. Graec. Monacensis 394 aus dem Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts; Cod. Graec. Monacensis 278 aus dem 16. Jahrhundert; ferner die wohl alle dem 11. Jahrhundert angehörenden Codd. Nanianus 56 der Marciana zu Venedig, Coislianus 227 der Pariser Nationalbibliothek, Ottobonianus 86 der Vaticanischen Bibliothek, Roë 25 in der Bodleiana zu Oxford. ↩
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Th. Schermann schreibt in Theol. Revue 1911, 577 die mystagogischen Katechesen dem Bischof Johannes von Jerusalem zu. ↩
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Siehe die Veterum testimonia bei Migne 32, 305, 308, 313. — Die Authentizität u. Integrität der Katechesen wird ausführlich verteidigt u. a. von Touttée (in der seine Textausgabe einleitenden 2. Dissertation) u. Delacroix a. a. O. S. 63―94. ↩
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Siehe Migne 33, 325. ↩
