Viertes Lied.
S. 231 1. Wie raffiniert war doch der Schmelzofen, der die Königstochter1läuterte! Er zeigte sich gegen sie freundlich, aber sie war darüber nicht erfreut; er suchte sie zu betrüben, aber sie geriet nicht in Angst; er bot ihr an, aber sie nahm nichts an; er beraubte sie, aber sie unterlag nicht. Sie zerstörte dagegen seine Altäre2, und er geriet in Wut, Nachdem er aber eines ihrer Glieder zerfleischt3und dadurch ihre Standhaftigkeit erprobt hatte, hörte er kluger Weise auf, um nicht ihren Triumph noch zu erhöhen.
Kehrvers:
Preis dem, der die Lügner von seiner Wahrheit überzeugt hat!
2. In dem einen ihrer Glieder hatte er alle ihre Glieder geprüft und alle bereit gefunden, ihre Kronen zu empfangen. Als er einsah, daß er die Wahrhaftigen durch Gewalt nicht bezwingen konnte, verstellte er sich und trat mit Schmeichelreden an sie heran. Er warf seinen Sauerteig in ihre Milch; aber dadurch läuterte er sie nur, ohne es zu bemerken. Das Ihrige mußte er ihr lassen, und nur das Seinige zog er an sich.
3. Ebenso sah er alle seine Angehörigen in dem einen Verwandten4, der bei lebendigem Leibe von S. 232 Würmern wimmelte und zerfressen wurde. In dem diesseitigen Wurm sah er den jenseitigen. Der Gerechte schnitt ihm durch die Würmer den Arm ab, und er sank ohne Arm hinab, um dadurch anzuzeigen, daß jener im Kampfe abgehauen und nicht siegreich, verstümmelt und nicht triumphierend sein werde.
4. Er war sein Fleisch und Blut, sein vollkommenes Ebenbild, beide waren sogar mit dem gleichen offenkundigen Namen bezeichnet, gleichwie sie von demselben verborgenen Teufel besessen waren. Sein Verwandter kündigte ihm durch seine Würmer das eigene Schicksal an. In diesem Gegenbilde erblickte er sich selbst und die ihm bevorstehende Strafe. In seinem Tode sah er den eigenen Untergang und in seinem Wurm die eigene Qual.
5. Der Irrtum schlug seine Leier und fing sie ein: den Achab durch Verheißungen5, diesen durch Wahrsprüche. Durch die Propheten des Baaltempels wie durch die Besessenen des Lügentempels sang er das gleiche Lied: dem Achab, daß er hinaufziehen; diesem, daß er hinabziehen solle. Und Achab zog hinauf und fiel; dieser zog hinab und kam um.
6. Wer hat je so viele Götzenaltäre errichtet? Wer hat je alle Teufel so geehrt? Wer hat je so alle Dämonen sich günstig zu stimmen gesucht? Nur den einen [Gott] erzürnte er - und wurde zerschmettert! In ihm wurde die ganze linke Seite als eine Macht bloßgestellt, die ihren Anbetern nicht helfen kann.
S. 233 7. Er suchte sich die berühmtesten Zauberer, die ausgezeichnetsten Sterndeuter, die erfahrensten unter den Söhnen des Irrtums aus, damit nicht etwa aus Unwissenheit das Richtige übersehen und verfehlt würde. Diese mühten sich nun Tag für Tag auf alle Weise ab, vertieften sich in die Lehren der Geheimkunst und forschten darin; aber als sie glaubten, etwas herausgebracht zu haben, da war der ganze Erfolg nichts als Schmach.
8. Der Gerechte hatte einst dem Saul6mit dessen eigenem Maße gemessen: da er durch Zauberei fragte, so betrübte er ihn durch Zauberei und ließ ihn von dem, auf den er horchte7, ein Lied hören, das ihm das Herz verwundete. In gleicher Weise verfuhr er mit diesem, welcher in Sauls Fußstapfen wandelte: er liebte die chaldäischen Sterndeuter, darum gab er ihn den Chaldäern preis; er betete die Sonne8an, darum fiel er durch die Sonnenanbeter.
9. Weil er Gott verleugnete, der niemals in sich geteilt ist, deshalb überließ er ihn dem Satan, der niemals in sich einig ist. Der Irrende irrte, als er in den Krieg gegen die Irrenden auszog. Er betete ja selbst die Sonne an, und doch fügte er ihr anderseits wieder Schimpf zu, da er aufbrach, um gegen ihre Diener und Anbeter zu streiten. Das Satansreich ist eben durch und durch morsch und gespalten.
10. Im Vertrauen auf die Hilfe der Sonne zog er aus, um diejenigen zu besiegen, welche schon seit langer Zeit der Sonne opferten. Dadurch hat er sich selbst das Urteil gesprochen, da er ja selbst der Sonne opferte. Und ohne daß er es ahnte, ließen ihn auch die Sterne im Stiche. Während er aus ihnen entnahm, daß er siegen S. 234 werde, wenn er ausziehe, hatte er vielmehr in ihnen lesen sollen, daß er unterliegen werde, wenn er ausziehe.
11. Pochend auf seine Verehrung der Sonne beschloß er, in den Krieg zu ziehen; aber dabei beachtete er nicht, daß sie dort [in Persien] noch viel eifriger angebetet wird. Da die Sterndeuter zu Babylon zu Hause sind, wie konnte er als Fremdling dagegen aufkommen wollen? Wenn er so fest auf den Irrtum vertraute, dem er sich doch erst vor kurzem angeschlossen hatte, so konnten doch diejenigen, bei denen derselbe schon vor ihm bodenständig war, noch viel fester auf ihn vertrauen.
12. Als er durch seine Forschungen herausgebracht hatte, daß er, wenn er in den Krieg ziehe, diejenigen besiegen werde, welche der Sonne eifrig opferten, gab er seinen eigenen Götzendienst auf und wurde Sonnenanbeter. Aber gerade dadurch beschimpfte er die Sonne, ohne es zu bemerken; denn dadurch, daß er voraussetzte, sie werde ihre langjährigen getreuen Diener im Stiche lassen, erklärte er sie ja für undankbar und ihre Verehrung für zwecklos.
13. Die Parteien der Kinder des Bösen, die durchaus nie einig sind, sind von der Wurzel aus in sich gespalten. Wenn zwei Könige zugleich in den Sternbildern ihr Schicksal lesen wollen, so müssen sie zu einem falschen Ergebnis kommen; denn wenn der eine aus der Konstellation ersehen könnte, daß er siegen werde, müßte auch der andere zu dem gleichen Resultate gelangen.
14. Da er wie sie die Sonne anbetete, da er wie sie die Zeichen beobachtete, da er wie sie die Orakel befragte, so ist folglich der Böse in sich selbst geteilt, so belügt ihre verfluchte Lehre ihre eigenen Lehrer und betrügt ihr wahnwitziger Aberglaube dessen Verbreiter.
15. Der Sohn des Kaisers9, dieses Meer von Ruhe, S. 235 erging sich nie in Siegesankündigungen; denn er wußte wohl, daß der Ratschluß des Höchsten unerforschlich ist. Er gab seine Krone dem Allwissenden anheim, und wenn er auch keine [kriegerischen] Siege und Triumphe feiern konnte, so war doch das schon ein herrlicher Sieg und Triumph, daß sein Gebet vierzig Jahre hindurch10das Reich erhielt.
16. Einer Zeder gleich neigte er sich zu seiner Zeit sanft zu Boden, sank auf sein Sterbelager und legte sich in Frieden zur Ruhe. An seiner Statt entsproßte der süßen Wurzel seines Stammes ein Schößling des Heidentums, von dem man erwartete, daß er auf lange Zeit hinaus die Berge mit seinem Schatten bedecken würde. Aber in einer Nacht sproßte er auf, in der nächsten verdorrte er wieder11.
17. Und es brannte die Sonne auf die Häupter seiner verfluchten Anhänger, wie einst auf Jonas, herab, eine klug unterscheidende Sonne, da sie die Wahrhaftigen erquickte, die Abtrünnigen dagegen quälte. Denn wenn Jonas leiden mußte, weil er sich gegen die Büßer erhob, um wieviel mehr wird jeder gepeinigt werden, der gegen die Heiligen kämpft.
18. Damals erregte Gott zur Überführung des Irrtums Erdbeben, um dadurch in der Welt den Seelen die Wahrheit zu predigen. Zur Beschämung des Heidentums wurden ganze Städte zerstört12, Jerusalem aber sollte S. 236 die verfluchten Kreuziger, die sich erfrechten, den Wiederaufbau der Ruinen, des Werkes ihrer Sünden, zu beschließen und in Angriff zu nehmen, ganz besonders ins Unrecht setzen.
19. Diese einfältigen Toren hatten Jerusalem, als es noch bestand, zerstört, und jetzt, wo es zerstört war, beschlossen sie, es wieder aufzubauen. Als es noch festgegründet dastand, hatten sie es geschleift, und nun, da es verwüstet war, liebten sie es. Jerusalem erbebte, als es sah, daß seine Zerstörer wiederum kämen, um seine Ruhe zu stören. Da flehte es den Höchsten um Hilfe gegen sie an und fand Erhörung.
20. Er gebot den Stürmen, und sie wehten; er winkte den Erdbeben, und sie kamen; den Blitzen, und sie zuckten; der Luft, und sie verfinsterte sich; den Mauern, und sie stürzten ein; den Toren, und sie öffneten sich. Feuer brach hervor und verzehrte die Schriftkundigen, die bei Daniel13gelesen hatten, daß die Verwüstung ewig währen sollte. Sie hatten es gelesen, aber daraus nichts gelernt; darum wurden sie durch ihren elenden Untergang belehrt14.
21. Sie hatten Jerusalem zerstreut durch die Tötung des Sanftmütigen15, der dessen Küchlein hatte sammeln wollen16; nun aber hofften sie, daß der Irrtum des Zauberers es wieder sammeln würde. Sie hatten es durch die S. 237 Verfolgung der Standhaften17niedergerissen, und nun wollten sie es durch die Begünstigung der Wankelmütigen stützen und wieder neu aufbauen. Sie hatten seinen großen Altar durch die Ermordung des Heiligen zerstört, und nun hofften sie, der Erbauer der Götzenaltäre werde ihn wieder aufrichten.
22. Sie hatten Jerusalem durch das Kreuzesholz, das sie dem lebendigen Baumeister der Welt bereitet hatten, zum Einsturz gebracht, und nun wollten sie es mit dem gebrechlichen Rohre des Heidentums stützen. Sie hatten es durch die Ermordung des Zacharias18betrübt, der es durch seine Weissagung: „Siehe, dein König kommt!“19erfreut hatte, und nun wollten sie ihm eine Freude bereiten durch das Orakel20des Wahnsinnigen21, indem sie ihm die frohe Botschaft verkündeten: „Siehe, es kommt der Besessene, der dich wieder aufbauen wird; er wird in dich einziehen und in dir seinen Teufeln22Opfer und Spenden darbringen.“
23. Aber Daniel hatte schon über Jerusalem das entscheidende Urteil gefällt, daß es nie mehr aufgebaut werden solle, und Sion glaubte ihm. Beide [Jerusalem und Sion]23beklagten und beweinten ihr Los, gaben aber die Hoffnung endgültig auf. Kana24tröstete die S. 238 beiden Trauernden durch seinen Wein und gab ihnen den Rat: „Vernachlässigt doch bei eurer Trauer nicht die Dankespflicht gegen den Gütigen!“
24. „Denn sehet, jetzt lebt ihr in Ruhe und Frieden, befreit von den Besessenen und dem Umgang mit den Teufelsdienern. Diese haben stets Unruhen und Aufruhr erregt, haben sogar den Spender alles Lebens gekreuzigt und euch beide unaufhörlich gequält. Sie haben in euch die Propheten ermordet, die Götzen dagegen vermehrt und durch das Götzenbild mit den vier Gesichtern25euch die Schamröte ins Gesicht getrieben.
25. „Heilsamer als dieser heidnische Wohlstand ist für euch die Verwüstung ohne Sünden und die Öde ohne Zauberei. Der Gütige hat euch beiden noch zwei Orte, Bethlehem und Bethanien, beigesellt und veranlaßt, daß statt des verbannten Judenvolkes jetzt alle Völker unter Lobgesängen zu euch wallfahren, um in eurem Schoße das heilige Grab von Golgotha zu schauen.“
26. Wer wird jetzt noch an Schicksalserforschung und Horoskop glauben? Wer wird jetzt noch Orakeln und Wahrsagern Vertrauen schenken? Wer wird sich jetzt noch von Zauberern und Sterndeutern irreführen lassen? Denn sie alle haben in allem vollständig versagt. Um aber nicht jedem einzelnen Irrenden eigens die Nichtigkeit des Aberglaubens beweisen zu müssen, hat der Gerechte diesen einen Irrenden zerschmettert, um dadurch alle übrigen zu belehren.
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Antiochien. Über das Verhältnis Julians zu den Antiochenern vgl. Vorbemerkung 4 und ganz besonders seine boshafte Schrift Misopogon. ↩
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Ephräm schreibt demnach den. Brand des Apollotempels in der Vorstadt Daphne den Christen zu und setzt ihn - was nach den anderen Quallen unrichtig ist - vor das Martyrium des Jünglings Theodor. ↩
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Theodor. Über seine Marter vgl. Vorbemerkung 4. Er hat dem Kirchenhistoriker Rufinus selbst sein Martyrium erzählt. Er wurde mittelst Riemen und Krallen zerfleischt. ↩
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Der gleichnamige Onkel des Apostaten hatte als comes Orientis die Kirche von Antiochien gebrandschatzt. Alle Kleriker waren geflohen, nur der Priester Theodor - nicht zu verwechseln mit dem jugendlichen Bekenner Theodor in Anm. 3 - war zurückgeblieben. Um das Versteck etwa in Sicherheit gebrachter Kirchenschätze zu erpressen, wurde er der Folter unterworfen und, da er standhaft blieb, enthauptet. Bald darauf ging Julian an einer entsetzlichen Krankheit. Wurmfraß und Miserere, zugrunde. Siehe Sozomenos 5, 8, MSG 67,1236; Theodoret 3,9, MSG 82,1101. ↩
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3 Kön. 22, 5-23: 400 Propheten hatten Achab, König von Israel, glücklichen Ausgang des Feldzugs gegen Ramoth in Gilead geweissagt, nur Michäas, der Sohn Jimlas, widersprach. Der König folgte jenen und verlor Schlacht und Leben. ↩
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1 Sam. 28. ↩
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Der beschworene Geist Samuels verkündete ihm den nahen Tod. ↩
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Helios war einer seiner Lieblingsgötter, vgl. seine Epist. 13, ed. Hertlein p. 493 ↩
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Konstantius II., der Sohn des Kaisers Konstantin. Ephräm behandelt diesen fanatischen Arianer sonderbarerweise ganz wie einen orthodoxen Kaiser. So schon oben 1,12. ↩
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Nach der Chronologie bei Sokrates 2,47, MSG 67, 365 setzen sich diese 40 Jahre also zusammen: 13 Jahre Mitregentschaft mit seinem Vater Konstantin, nach dessen Tode noch weitere 25 Jahre, zusammen 38 Jahre; dazu kommen noch 2 Jahre Julians bis zur Katastrophe. Dagegen haben die Handschriften Ammians 21,15 die [korrupte] Lesart: imperii vitaeque anno quadragesimo et mensibus paucis [sc. abiit e vita], wonach er 40 Jahre regiert und gelebt hätte. ↩
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Wie die Wunderstaude des Jonas [Jon. 4,10]. ↩
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Zur Illustration dieser Stelle hat Bickell aus den Anecdota syriaca von Land I,106 folgenden Abschnitt der Fortsetzung der eusebianischen Chronik in Übersetzung mitgeteilt: „Zur selben Zeit ergrimmte der Herr gegen die Städte der Heiden, Juden, Samariter und Irrgläubigen im Süden, welche sich an dem Wahnsinn des abtrünnigen Julian beteiligten. Es ging aus der Zorn vom Herrn, und er fing an, die unreinen und heidnischen Städte über ihre Bewohner umzustürzen, weil diese sie mit unschuldigem Blute, das sie darin vergossen, besudelt hatten. Er begann 21 Städte zu zerstören, von welchen einige von der Erde verschlungen wurden, andere einstürzten, andere stehen blieben.“ ↩
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Dan. 9,27. Siehe Anm. 5 zu Strophe 20 des 1. Liedes. ↩
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Über die Vereitelung des Tempelbaues durch Elementarereignisse vgl. Vorbemerkung 5. ↩
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Matth. 21,5 nach Zach. 9,9. ↩
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Matth. 23,37 f. ↩
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šarire bedeutet sowohl die „Wahrhaftigen“ im oben erwähnten Sinne als auch die ,,Feststehenden, Standhaften“. Da es hier im Gegensatz zu „Wankende“, Wankelmütige steht, habe ich es in der zweiten Bedeutung genommen. Vom Dichter sind aber beide Bedeutungen beabsichtigt. Die Standhaften und Wahrhaftigen sind die Rechtgläubigen, die Wankelmütigen sind die Heiden. ↩
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2 Chron. 24,20-22; Matth. 23,35. ↩
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Zach. 9,9 ↩
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Bildet im Syrischen mit Zacharias ein Wortspiel: zuchorô - zecharjô. ↩
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Julian ↩
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Götter, vgl. 1 Kor. 10,20 und Ps. 95 [96], nach. LXX und Vulgata, jedoch nicht nach MT und Peschito. ↩
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Sion = der Tempelberg; Jerusalem = die übrige hl. Stadt. ↩
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Kotne ist der syrische Name für das galiläische Kana. Da dort der Herr Wasser in Wein verwandelte und da man nach dem Rate von Sprichw. 31,6 Traurigen Wein reichen soll, wird Kana als Trösterin ihrer Sohwestern, Sion und Jerusalem, eingeführt. ↩
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Über dieses Götzenbild siehe die Anmerkung zu „Drei Reden über den Glauben“ I,51, oben S. 39. ↩
