2.
Doch, wie gesagt, dieser Wetteifer ist so sehr nicht zu tadeln. Aber Das, was heute von so Vielen in den Weinschenken um die Wette getrieben wird, Das betrübt mich am meisten; denn da werden Ausschweifungen und auch Sünden gegen den Glauben in großer Menge verübt. Da sündigt man gegen Glaube und Religion, indem man Tagwählerei1 und Zeichendeuterei treibt und der Meinung S. 13 ist, wenn man den Anfang dieses Monats unter Freuden und Vergnügungen hinbringe, dann werde es auch das ganze Jahr so gehen. Da wird durch Ausschweifung gesündigt, indem gegen Morgen Weiber und Männer in der ausgelassensten Weise volle Becher ungemischten Weines leeren. Solche Dinge sind eures christlichen Glaubens unwürdig, sei es, daß ihr sie selber thut, oder daß ihr sie Andern, euren Knechten, Freunden und Nachbarn hingehen laßt. Hast du nie gehört, was Paulus sagt?2 „Tage nehmt ihr in Acht und Monde und Zeiten und Jahre! Ich bin in Sorge, daß ich nicht etwa vergeblich gearbeitet habe für euch!“ Übrigens ist es auch eine Thorheit sonder Gleichen, wenn ihr darum von dem ganzen Jahre Glück und Heil erwartet, weil ein einziger Tag glücklich verlaufen ist; und nicht bloß höchst thöricht, sondern auch eine Wirkung des Teufels ist dieses Urtheil, welches uns verleitet, daß wir unser Schicksal nicht von der eigenen Thätigkeit, von dem eigenen guten Willen, sondern von dem Verlaufe bestimmter Jahrestage abhängig wähnen. Das Jahr wird von Anfang bis zu Ende ein glückliches für dich sein, nicht wenn du am Neumondstage der Trunkenheit fröhnst, sondern wenn du an diesem Tage und an jedem andern thust, was Gott wohlgefällt. Ein Tag unterscheidet sich nicht vom andern; jeder Tag ist ein guter oder ein böser nicht seiner Natur nach, sondern je nach unserm Eifer oder unserer Nachläßigkeit im Guten. Wenn du Gerechtigkeit übest, ist dir der Tag zum Heile; wenn du Sünde thust, ist es S. 14 für dich ein böser Tag, ein Tag der Strafe. Wenn du so denkst und gesinnt bist und dich also jeden Tag des Gebetes und der Wohlthätigkeit befleissigst, dann wird das ganze Jahr für dich ein glückliches sein; wenn du aber die Übung der Tugend vernachläßigst, und dafür dein Wohlergehen den Anfängen der Monate und den Nummern der Tage anvertraust, dann wird dir Alles fehlen, was dir wahrhaft gut ist. Das hat der Teufel sehr wohl gewußt, und um uns nun von dem mühevollen Streben nach Tugend abzubringen, um den guten Willen in unsern Herzen zu ertödten, hat er diesen Wahn aufgebracht, daß man Glück und Unglück der natürlichen Beschaffenheit der Tage zuschreibt. Denn wer sich überredet hat, daß für ihn der eine Tag ein böser, der andere ein guter sei, der wird sich weder am bösen noch am guten Tage guter Werke befleissen. Am bösen Tage wird er denken, wegen des Verhängnisses, das auf diesem Tage liege, sei Alles nutzlos und vergeblich, und am guten Tage, wegen des Glückes, das dieser Tag bringe, werde ihm seine Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit keinen Schaden bringen. So wird er jedes Mal sein Seelenheil preisgeben und wird in seiner Trägheit und Sündhaftigkeit verharren, um sich nicht an dem einen Tage vergeblich, an dem andern überflüssiger Weise abzumühen. Da ihr Das nun wißt, sollt ihr euch den Ränken des Teufels entziehen, sollt dieses verkehrte Urtheil aufgeben, keine Tagwählerei treiben, nicht den einen Tag hassen und den andern lieben. Denn nicht bloß um uns in Gleichgiltigkeit zu versenken, sondern auch um den Werken Gottes eine Makel anzuheften, hat der böse Feind diese List in’s Werk gesetzt, und so sucht er uns in den Abgrund der Gottlosigkeit und zugleich der Nachlässigkeit herabzuziehen. Wir aber müssen vor ihm fliehen und wohl wissen, daß es nichts Böses gibt als nur die Sünde, und nichts Gutes als nur die Tugend und das Streben, Gott in allen Dingen wohlgefällig zu sein. Nicht Trunkenheit, sondern Herzensgebet macht fröhlich, nicht der Wein, sondern die erbauende Rede. Jener bewirkt stürmische Aufregung, diese bringt heitere S. 15 Ruhe; jener erzeugt Verwirrung, diese vertreibt die Unruhe; jener umnachtet den Geist, diese hellt den verfinsterten auf; jener bringt neuen Verdruß, diese treibt den vorhandenen aus.
Denn es gibt Nichts, was in so hohem Grade Zufriedenheit und Fröhlichkeit zu erzeugen pflegt, als die Grundsätze des Christenthums, die Verachtung der gegenwärtigen und das angestrengte Streben nach den zukünftigen Gütern, dann die Überzeugung von dem Unbestande alles Irdischen: des Reichthums, der weltlichen Gewalt, der Ehrenstellen, des stattlichen Gefolges. Wenn du dich zu dieser Gesinnung zu erheben vermagst, dann kannst du die Reichen sehen, ohne von Neid gequält zu werden, kannst selbst in Armuth gerathen, ohne dich durch die äusserste Dürftigkeit niedergedrückt zu fühlen. Dann wird jeder Tag für dich ein Fest sein. Denn der Christ soll nicht bloß in gewissen Monaten, nicht bloß an Neumondstagen oder an Sonntagen feiern, sondern während seines ganzen Lebens so feiern, wie es sich für ihn geziemt. Und was ist Das für eine Feier? Hören wir den heiligen Paulus! „Lasset uns festfeiern, nicht im alten Sauerteig und nicht im Sauerteig der Bosheit und Argheit, sondern im Ungesäuerten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.“3 Wenn du also ein reines Gewissen hast, dann ist dir jeder Tag ein Fest; denn allezeit erquicken dich die seligsten Hoffnungen und erfreut dich die Erwartung der zukünftigen Herrlichkeit. Und umgekehrt: wenn du keine herzliche Freundschaft mit Gott dem Herrn unterhältst, wenn du dich vieler Sünden schuldig gemacht hast, dann wirst du trotz zahlloser Feste und Festaufzüge um Nichts besser daran sein, als wer in tiefer Trauer ist. Denn was hilft mir der Glanz eines festlichen Tages, wenn meine Seele durch die Nacht des bösen Gewissens S. 16 verfinstert ist? — Also wenn du von den Neumondstagen einen wahren Nutzen erzielen willst, dann mache es so: Sieh auf das verflossene Jahr, und danke dem Herrn, daß er dich diese Reihe von Jahren hat erleben lassen. Dann erwecke in deiner Seele einen heftigen Schmerz, indem du der entschwundenen Lebenszeit gedenkest und zu dir selber sagst: Die Tage verrinnen und eilen vorüber, die Jahre endigen eins um das andere, einen großen Theil des Lebensweges haben wir schon zurückgelegt. Was haben wir nun Gutes gethan? Werden wir nicht von aller Gerechtigkeit entblößt, alles Guten baar sein, wenn wir von hinnen scheiden müssen? Das Gericht steht vor der Thür, zum Greisenalter eilt schon raschen Schrittes unser Leben.
-
D. h. abergläubische Unterteilung zwischen glücklichen und unglücklichen Tagen. Den bezeichnenden, wenn auch bis jetzt noch minder gebräuchlichen Ausdruck „Tagwählerei“ entlehnen wir von einem bewährten und zugleich sehr sprachkundigen Moralisten der neuesten Zeit (Aberle). ↩
-
Gal. 4, 10. 11. Paulus tadelt hier die Galatier wegen der Beobachtung der jüdischen Feste und Festzeiten. Mit vollem Rechte konnte Chrysostomus diese Worte denjenigen Christen entgegenhalten, die sich in der Feier gewisser Tage sogar an das Heidenthum anschlossen. ↩
-
I. Kor. 5, 8. ↩
