4.
O welch große Freundschaft! Seine Geheimnisse teilt er uns mit! "Das Geheimnis seines Willens", sagt der Apostel; dies will nichts anderes besagen als: Er offenbarte uns sein innerstes Herz. Denn das ist das Geheimnis, welches die Fülle jeglicher Weisheit und Erkenntnis in sich schließt. Was willst du dieser Weisheit an die Seite stellen? Er machte ausfindig, wie er diejenigen, die gar nichts wert waren, zum Reichtum führen könne. Was kommt dieser Erfindungsgabe gleich? Der Feind, der Gehaßte, er wurde plötzlich erhöht. Und nicht allein, daß es geschah, auch daß es in dieser Zeit geschah, auch das ist ein Zeichen von Weisheit, und daß es durch das Kreuz geschah. Es würde uns hier zu weit führen, wenn ich zeigen wollte, inwiefern darin Weisheit lag und inwiefern Gott uns weise machte. Darum schreibt er abermals: "nach seinem Ratschluß, welchen er beschlossen hei bei sich selbst". D.H., er verlangte darnach, er trug sich damit, dieses Geheimnis uns mitzuteilen. Welches Geheimnis? Daß er den Menschen erhöhen will. Dies ist auch geschehen.
S. 169 V.10: Für die Aufrichtung der Fülle der Zeiten, alles in Christus zu erneuern, was im Himmel ist und was auf Erden ist, in ihm ..."
Er will sagen: Himmel und Erde waren voneinander getrennt, hatten kein gemeinschaftliches Haupt. Denn hinsichtlich der Erschaffung gab es wohl nur einen Gott, nicht mehr aber hinsichtlich der Zueignung, wegen der Verbreitung des heidnischen Irrwahnes; vielmehr hatten sich die Menschen von dem Gehorsam gegen Gott losgesagt. - "Für die Aufrichtung der Fülle der Zeiten", sagt der Apostel. Die Fülle der Zeiten selbst bezeichnet er so. - Beachte, wie sorgfältig er sich ausdrückt! Obschon nach seiner Darlegung der Anfang, der Vorsatz, der Ratschluß, der erste Anstoß vom Vater ausging, die tatsächliche Erfüllung aber durch Christus erfolgte, nennt er diesen doch nirgends "Diener". "Er hat uns", sagt er, "in ihm erwählt, uns vorherbestimmt zur Kindschaft durch Jesus Christus für sich und zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade"; "in dem wir die Erlösung besitzen durch sein Blut"; "welches er bei sich beschlossen hat, für die Aufrichtung der Fülle der Zeiten, alles zu erneuern in Christus." Nirgends gebraucht er den Ausdruck "Diener". Wenn aber das "in" und das "durch" nur von einem Diener verstanden werden könnte, so beachte, zu welchen Folgerungen das führen würde! Gleich am Anfange des Briefes steht: "Durch den Willen des Vaters". Der Vater hat gewollt, will der Apostel sagen, der Sohn hat vollzogen. So wenig der Sohn des Willens entkleidet ist, weil der Vater gewollt hat, ebenso wenig ist der Vater der Wirksamkeit beraubt, weil der Sohn gewirkt hat; vielmehr ist alles dem Vater und dem Sohne gemeinsam. Denn "all das Meine" steht S. 170 geschrieben, "ist dein; und das Deine ist mein"1 . - Die Fülle der Zeiten aber war seine Ankunft. Nachdem er also durch Engel, Propheten und Gesetz alles getan hatte und nichts erzielt worden war, sondern die Gefahr drohte, daß der Mensch umsonst erschaffen, umsonst geführt worden sei, ja noch mehr, zu seinem Verderben, indem alle ohne weiteres dem Untergang verfielen, in höherem Maße als selbst bei der Sündflut: da machte Gott diese "Aufrichtung" durch die Gnade ausfindig, damit des Menschen Dasein nicht fruchtlos und vergeblich sei. Dies nennt Paulus "Fülle der Zeiten" und "Weisheit". Inwiefern? Weil die Menschen gerade da gerettet wurden, als sie dem Untergang am nächsten standen. - Er sagt: "zu erneuern"2 . Was heißt "zu erneuern"3 ? Zusammenfassen4 . Indes, wir wollen uns bemühen, der eigentlichen Bedeutung ganz nahe zu kommen. Bei uns und nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch versteht man unter "erneuern"5 : einen langen Vortrag kurz zusammenfassen, alles, was mit vielen Worten gesagt wurde, in gedrängter Kürze wiederholen. Diese Bedeutung ist auch hier zutreffend. Christus hat nämlich die im Laufe der Jahrhunderte getroffenen Anstalten in sich erneuert6 , d.h. kurz wiederholt7 . Denn indem er die Offenbarung erfüllte und in seiner Gerechtigkeit zusammendrängte, hat er alles Frühere zusammengefaßt und noch Neues hinzugefügt. Das ist unter "Erneuerung"8 zu verstehen. - Es wird damit aber noch etwas anderes ausgedrückt. Was ist dieses? In dem fleischgewordenen Christus hat Gott ein Haupt gesetzt über alle, Engel und Menschen. D.h., er hat ihn als gemeinsamen Urgrund9 gegeben den Engeln und den Menschen; diesen als den S. 171 Fleischgewordenen, jenen als das göttliche Wort. Wie man von einem zum Teil morschen, zum Teil festen Hause zu sagen pflegt: er hat das Haus wiederaufgebaut, d.h. es fester gemacht, einen festeren Grund gelegt, so ist auch hier der Sinn: er hat alle unter ein Haupt gebracht. Denn nur so kann eine Vereinigung, eine genaue Verbindung entstehen, wenn alles unter ein Haupt gebracht, gleichsam durch ein festes Band von oben zusammengehalten wird.
Da wir nun eines so großen Geschenkes, so großer Ehre, so großer Menschenfreundlichkeit gewürdigt worden sind, so laßt uns unserem Wohltäter keine Schande machen, die so große Gnade nicht vereiteln! Laßt uns vielmehr ein engelgleiches Leben führen, engelgleiche Tugend und engelgleiches Verhalten an den Tag legen! Ja, ich bitte und flehe darum, damit alles dieses uns nicht zum Gerichte und zur Verdammnis werde, sondern zum Genusse der himmlischen Güter, deren wir alle teilhaftig werden mögen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem der Vater samt dem Heiligen Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit! Amen.
