III.
Wie wird es uns erst in Dingen ergehen, die uns schwierig vorkommen, wenn wir schon nicht thun wollen, was so leicht, so gewinnreich, so nützlich, so mühelos wäre! Du bist nicht im Stande, das Geld zu verachten? Du bringst es nicht übers Herz, dein Vermögen den Armen zu opfern? Du hast nicht die Kraft, etwas Gutes zu wollen? Du vermagst dem Beleidiger nicht zu verzeihen? Wenn keine solche Schuldenlast auf uns ruhen würde, und Gott würde uns befehlen, dem Beleidiger zu verzeihen, müßte man es nicht thun? Nun aber bist du so schwer verschuldet S. 511 und kennst keine Verzeihung, und das in dem Bewußtsein, daß Gott zurückfordern wird, was du von ihm empfangen hast! Denken wir uns, wir gingen zu unserm Schuldner, und dieser wüßte von unserem Besuche; wie dienstfertig und freundlich, mit welchen Ehren würde er uns ausnehmen, wie verschwenderisch würde er sein mit Beweisen seiner Ergebenheit, und zwar nicht um Zinsnachlaß zu erhalten, sondern nur in dem Wunsche, uns gnädig zu stimmen bezüglich der Einforderung desselben! Du aber schuldest Gott so viel, und wenn er befiehlt, du sollst einem anderen Nachlaß gewähren, aber nur um auf der anderen Seite das Verlorene wieder zu bekommen, so gewährst du diesen Nachlaß nicht! Ach, wie viel Barmherzigkeit wird uns zu Theil, und welch hartes Herz zeigen wir! Welche Schläfrigkeit! Welche Trägheit! Wie leicht ist die Tugend und welchen Nutzen bringt sie! Wie mühselig ist das Laster! Wir aber lassen das Federleichte liegen und mühen uns mit dem Bleischweren ab. Auf dem Gebiete der Tugend braucht man keine Körperkraft, keinen Reichthum, kein Geld, keine einflußreichen Freundschaften, gar Nichts weiter, sondern es genügt der bloße gute Wille, und Alles ist vollbracht. Es hat dich Jemand betrübt, gekränkt, verhöhnt? Nun, bedenke, daß auch du vieles dergleichen gegen Andere verübt hast, ja gegen Gott den Herrn selber, und vergiß und verzeihe! Denke daran, daß du so oft sagst: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern!“ Bedenke, daß du ohne zu verzeihen, diese Worte nicht mit Vertrauen aussprechen kannst! Uebst du aber Verzeihung, dann schuldet dir auch Gott Verzeihung, freilich nicht in Folge der Natur der Sache, sondern in Folge seiner Barmherzigkeit; denn wie wäre das ein gleiches Verhältniß, daß wir Verzeihung unserer Sünden gegen Gott erhalten, wenn wir dem Mitknechte verzeihen? Aber dennoch wird uns diese Barmherzigkeit zu Theil, da Gott reich ist an Erbarmen und Mitleid. Aber um dir zu zeigen, daß abgesehen davon und abgesehen von der Sündenvergebung die versöhnliche Gesinnung ausschließlich dir selber Nutzen S. 512 bringt, so verweise ich dich darauf, wie viel Freunde solcher gewinnt, wie sein Name mit Lob von Allen genannt wird und wie es heißt: „Ein braver Mann, ein versöhnlicher Mensch. Er kann keinem Etwas nachtragen! Kaum hat man ihm eine Wunde geschlagen, so ist sie schon wieder geheilt.“ Und wenn ein solcher Mensch ins Unglück geräth, wer schenkt ihm nicht seine Theilnahme? Wer hat nicht Nachsicht mit ihm, wenn er einen Fehler macht? Wer schenkt ihm nicht Gehör, wenn er für Andere bittet? Wer ist nicht gerne der Freund und Diener einer so guten Seele?
Ja, Geliebte, thun wir alles Mögliche, um das zu erreichen, nicht bloß den Freunden und Verwandten, sondern auch den Dienstboten gegenüber, „ablassend von Drohung,“ wie geschrieben steht, „wissend, daß euer Herr im Himmel ist.“1 Wenn wir dem Nächsten seine Fehler verzeihen, dann werden auch wir Verzeihung erlangen; ebenso wenn wir Almosen geben, wenn wir demüthigen Sinnes sind; denn auch das bewirkt Nachlassung der Sünden. Wenn der Zöllner im Evangelium auf das einzige Wort hin: „Sei mir armen Sünder gnädig!“ gerechtfertigt von dannen ging, so ist das um so mehr bei uns der Fall, wenn wir demüthigen und zerknirschten Herzens sind; da kann uns ein großes Maß von Barmherzigkeit zu Theil werden. Wenn wir unsere Sünden bekennen und uns selber verurtheilen, dann werden wir uns vom Sündenschmutze reinigen. Es gibt ja viele Wege der Reinigung. Allerwärts also wollen wir gegen den Teufel kämpfen. Ich habe von nichts Schwerem, nichts Mühevollem gesprochen. Gewähre Verzeihung Dem, der dich gekränkt, habe Mitleid mit den Armen, sei demüthigen Herzens! Und bist du auch ein großer Sünder, du kannst das S. 513 Himmelreich erlangen, indem du auf solche Weise dich von Sünden reinigst, dir den Schmutz von der Seele wäschest. Möge es uns gelingen, daß wir hienieden von allem Sündenschmutz uns reinigen durch das Sündenbekenntniß und im Jenseits der verheissenen Seligkeit theilhaftig werden in Christus Jesus, unserem Herrn u. s. w.
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Eph. 6, 9. ↩
