III.
S. 13 Nicht anders zerstreute sich mir der Nebel der Traurigkeit, ich sog den Anblick des Himmels ein, gewann meine Besinnung wieder und erkannte das Antlitz meiner Ärztin. Als ich nun die Augen auf sie wandte, meinen Blick auf sie heftete, sah ich meine Nährerin wieder, an deren Herde, ich von Jugend auf erwachsen war, die Philosophie. Und wie, sprach ich, du bist in diese Einsamkeit meines Kerkers gekommen, du, die Meisterin aller Tugend, hast dich von deinem hohen Wohnsitz herabgelassen? Oder bist du mit mir angeklagt, wirst auch du von falschen Anschuldigungen verfolgt?
Sollte ich dich meinen Zögling verlassen, antwortete jene, sollte ich nicht die Bürde, die du um meines verhaßten Namens willen auf dich genommen hast, in gemeinsamer Mühe mit dir teilen? Es war die Pflicht der Philosophie, den Weg des Unschuldigen nicht unbegleitet zu lassen; ich sollte die Anschuldigung meiner selbst scheuen und vor ihr zurückschrecken, als ob es etwas Neues wäre? Meinst du denn, daß erst jetzt, wo die Sitten verderbt sind, die Weisheit von Gefahren bedrängt sei? Haben wir nicht auch bei den Alten schon vor der Zeit unseres Plato oft den großen Kampf mit der Unbesonnenheit der Dummheit gekämpft? Dieser zwar blieb leben; hat aber nicht sein Lehrer Sokrates mit meinem Beistand in ungerechtem Tod den Sieg errungen? Als dann dessen Erbschaft der epikureische und stoische Pöbel und alle andern jeder sein Teil zu rauben trachteten, als sie mich trotz Widerspruchs und Widerstrebens wie ein Beutestück hin- und herzerrten, zerrissen sie mein Gewand, das ich mit eignen Händen gewebt hatte. Fetzen rissen sie von ihm ab und gingen davon im Glauben, daß ich ihnen ganz gehöre. Und da man noch einige Spuren meiner Tracht an ihnen entdeckte und sie daher für meine Freunde hielt, so hat selbst einige von ihnen, ihrer Unklugheit überführt, der Irrtum der gemeinen Menge ins Verderben geführt.
Wenn du aber auch nichts von Anaxagoras Flucht, von Sokrates Giftbecher gehört hättest, sie sind ja Fremde, so würdest du doch von einem Canius, einem Seneca, einem Soranus, deren Andenken nicht gar so alt und nicht unberühmt ist, etwas wissen können. Sie hat nichts anderes ins Verderben gestürzt, als daß sie, erzogen in unseren Sitten, den Bestrebungen der Schlechten so ganz unähnlich erschienen. Daher brauchst du dich nicht zu wundem, wenn wir von den Stürmen, die auf der hohen See dieses Lebens hin und her wehen, umgetrieben werden, wir, deren oberster Grundsatz ist, den Schlechten zu mißfallen. Aber wenn auch deren Heer zahllos ist, es ist dennoch zu verachten, es wird von keinem Feldherrn gelenkt, sondern nur von ungefähr vom wahnsinnigen Irrtum hin und her getrieben. Wenn dieser wieder einmal seine Reihen gegen uns aufstellt, uns kräftiger bedroht, dann zieht unsere Führerin ihre Truppen in die Burg zusammen und jene geben sich mit der Plünderung unnützen Gepäcks ab. Wir aber, wenn sie das erbärmliche Zeug mit Gier rauben, lachen von oben über sie, und sicher S. 15 sind wir vor dem Getümmel der Wütenden, denn uns schützt ein Wall, nach dem die umherschwärmende Dummheit nicht trachten kann.
