2. Die Berechtigung eines solchen Lebensbildes nach dem Alten Testament.
So will ich denn beginnen und vorausschicken, daß es eine Kühnheit wäre, das Leben der vollkommenen Männer zu beschreiben, die wir nicht nach unserer Meinung prüfen dürfen, um sie kunstvoll zu schildern, sondern die als Vorbilder uns gegeben sind, die Gegenwärtigen zu erheben. Denn der gütige Gott sorgt so trefflich für seine Freunde, daß er ihnen nicht nur gemäß dem Tugendleben die schöne und höhere Vergeltung in der endlosen Ewigkeit für angemessen hält, sondern schon hier zuvor, daß in den vergänglichen Zeiten die Erzählung von ihrem Ruhm himmlisch hehr erklinge und jene unter den geistigen und körperlichen Wesen zugleich hervor leuchten.
Und in der mosaischen Erzählung ist der heiligen Männer edle Art, die Festigkeit der Wahrheit des Glaubens, die Würde gottesnahen und gotterglühten Lebens, die Herrlichkeit eines wunderhaften Lebens offenbar. Der eine wurde wegen seines wohlgefälligen Opfers als gerecht bezeichnet1 , und ein anderer erschien in erfreulichem Wunder erhaben über den alles verschlingenden Tod, voll Leben, und ein anderer ward wegen der vollkommenen Gerechtigkeit über dem alles bedeckenden berghohen Meer göttlicher Strafe samt allen Lebewesen in der Zeit eines Jahres im Schiffe fahrend erhalten, und ein anderer wurde durch unvermutet S. 198 vorgefundenen Glauben gerechtfertigt und Gott nahe und mit Gott redend der vollkommene Teilhaber des Bundes, Erbe der Verheißung künftiger Güter. Und viele andere solche wurden als Gottesfreunde erfunden, deren edle Art in allen gotterleuchteten Schriften gerühmt wird.
Ähnlich dem Vorgetragenen erwähnt Paulus im Brief an die Hebräer2 Namen und lobt die Echtheit ihres Glaubens, durch welchen sie den Trost der Vergeltung vom allgütigen Gott gemäß ihrem Fortschritt erlangten. Er zieht zum Vergleich selbst der übeltätigen Rahab Gastfreundschaft gegen die Kundschafter herbei.
Jedoch dieweil er auf die zahlreiche Menge blickt3 , macht er wirklich nur wenige Namen bekannt und übergeht die anderen, indem die Zeit nicht ausreicht, sie der Reihe nach aufzuzählen. Er wendet sie demgemäß an, um darzulegen, zumal die Versuchungen, die hereingebrochen waren, und ihre unwidersprochene Tugendkraft, die er für edler als die Welt im Preise hält. Auf diese Weise führen alle vom Geiste erzählten Schriften die Beschreibung der Tapferkeit aller Heere, bei den einen in bezug auf den Sieg der göttlichen Religion, bei den andern in Hinsicht auf die Tüchtigkeit in weltlichen Verhältnissen, in Streit und Krieg wie bei Nimrod4 , bei Samson5 und David6 . Bei einigen wieder loben sie die natürliche Weisheit zugleich mit der göttlichen Weisheit wie bei Joseph in Ägypten7 und bei Daniel in Babylon8 . Unter diesen waren auch Ratgeber mächtiger Könige; sie zeigten die Verhältnisse der Lebensführung des Länderherrschers, indem sie zugleich bekannt machten mit dem allmächtigen Gott. Indem der Prophet die Weisheit dieser lobte, sagte er zu einem so: „Bist du weiser als Daniel, oder haben die Weisen mit Rat dich beraten durch ihre S. 199 Wissenschaft? [Ezechiel 28, 3.] Und nicht allein soweit, sondern [sie tut es] auch durch geistige Botschaft aus dem Volke heraus, indem dieses die Macht des Heiligen lobte, dort als sie den Daniel liebenswürdig verkündend riefen und die heilige Mutter des Herrn in Galiläa, gebenedeit unter den Weibern9 .
Allein wozu sprechen wir das ehrenvolle Lob der beiden miteinander verbundenen Genossen aus, deren Vortrefflichkeit der Herr von allem selbst mit vollem Munde aussprach; nicht allein das vor Augen stehende Werk, sondern auch des verborgenen Herzens Erleuchtung bringt er vor Engel und Menschen. Wie als er mit den Engeln zu dem gastfreundlichen Abraham kam und ihm die Herablassung zur Dienstbarkeit kundtat„, indem er ihm nach Empfang der Verheißungen mitteilte, was er in Sodom zu tun vorhatte [Gen. 18, 20]. So auch spricht er des edlen Helden Ijob Lob aus, bevor er ihn kämpfen läßt vor den Kämpfern, indem er erklärt: „Ein Mann, wahrhaft, gerecht und gottesfürchtig, und fern von allen bösen Werken“ [Ijob 1,1]. Des großen Moses bessere gottentflammte Gemeinschaft hinwieder wird durch alle kirchlichen Bücher erhoben; auch dessen Kindheit und Anmut macht das göttliche Gesetz bekannt, ja selbst des volksfremden Jethro10 Rat übergeht es nicht ohne Aufzeichnung.
Und so strahlen gemeinsam aller gottesdienerischen Künstler Werke im gottgeschriebenen Gesetz, deren heilige Namen niemand allesamt zu erwähnen vermag.
