2. Kapitel: Es besteht nur zu oft ein bedauerlicher Gegensatz zwischen dem Wollen und dem Können eines Redners. — Der Redner darf nicht kleinmütig werden
3. Was nun die Bedenken bezüglich deiner eigenen Person anbelangt, so möchte ich nicht, daß du dich darüber beunruhigst, weil dir selbst dein Vortrag oft so platt und unbefriedigend vorkommt; denn möglicher weise machte er auf deinen Schüler diesen Eindruck nicht; vielleicht schienen dir selbst deine Worte nur deshalb für fremde Ohren so schlecht, weil du selbst ein besseres Verständnis gewünscht hättest. Auch ich habe an meinem Vortrag fast immer Mißfallen. Ich wünsche mir immer einen besseren und oft ist er auch wirklich in meinem Geist so vorhanden, bevor ich ihn S. 235in laute Worte zu kleiden beginne. Gelingt es mir dann nicht so gut als ich es eigentlich [in meinem Innern] wüßte, dann bin ich darüber betrübt, daß meine Ausdrucksfähigkeit nicht an meine Einsicht heranreichte. Denn ich möchte natürlich, es sollten auch meine Zuhörer alles ganz so verstehen, wie ich es selbst [in mir] verstehe; und doch fühle ich, daß meine Worte meiner Absicht nicht entsprechen. Dies kommt vor allem daher, daß das Verständnis in der Seele gleichsam blitzartig aufleuchtet, die mündliche Darlegung aber ganz im Gegenteil dazu nur langsam und allmählich erfolgen kann, so daß sich über ihrer allmählichen Entwicklung das Verständnis bereits wieder in die geheimen Falten der Seele zurückgezogen hat. Indessen hinterläßt jenes schnelle innere Erfassen doch in wundersamer Weise gewisse Eindrücke im Gedächtnis, und eben diese Eindrücke dauern in den Silben fort, die wir aussprechen, und aus ihnen entwickeln wir jene Töne und Bezeichnungen, die man Sprache nennt, sei es nun die lateinische oder die griechische oder die hebräische oder irgendeine andere; dabei ist es ganz gleich, ob diese Bezeichnungen bloß gedacht oder auch in Worte gekleidet werden; denn die bezeichneten Ausdrücke selbst sind weder lateinisch noch griechisch noch hebräisch noch irgendeinem Volke eigentümlich, sondern sie sind für den Geist, was die Gesichtszüge für den Körper sind. Der Begriff „Zorn“ z. B. wird im Lateinischen anders als wie im Griechischen und wieder anders in den verschiedenen übrigen Sprachen ausgedrückt: ein zorniges Gesicht aber ist weder lateinisch noch griechisch. Wenn darum einer sagt: „Iratus sum“, so verstehen ihn nicht alle Völker, sondern nur die Lateiner. Prägt sich aber die innere Aufregung sichtbar in seinem Antlitz aus und macht er ein zorniges Gesicht, so erkennen alle, die ihn nur anblicken, daß er zornig ist. Allein auch jene Eindrücke, die das [innere] Verständnis im Gedächtnis zurückließ, lassen sich noch nicht so durch Wort und Ton ausdrücken und der sinnlichen Wahrnehmung des Hörers gleichsam faßbar darbieten, wie sich Gesichtszüge offen und klar ersichtlich darstellen; denn jene Eindrücke haben ihren Sitz im Innern S. 236des Geistes, während diese Gesichtszüge außen am Körper erscheinen. Daraus läßt sich ermessen, wie weit unser gesprochenes Wort hinter der blitzschnell aufleuchtenden Erkenntnis zurückbleiben muß, da es nicht einmal mehr jenem eigenen Gedächtniseindruck entspricht. Und trotzdem möchten wir voll glühenden Eifers, den Nutzen unserer Zuhörer zu fördern, den Gegenstand unserer Rede so darlegen, wie wir ihn in dem Augenblick erfassen, wo wir wegen des inneren Aufmerkens [auf die aufblitzende Erkenntnis] noch nicht sprechen können. Weil uns dies nun nicht möglich ist, so befällt uns Kleinmut, und gerade als ob wir uns vergeblich Mühe gäben, lassen wir verdrießlich die Hände in den Schoß sinken; aber eben durch diesen Mißmut wird unser Vortrag noch schwächer und matter als er es in dem Augenblick war, als unsere Unzufriedenheit mit ihm anfing.
4. Allein der Eifer, mit dem manche nach meinem Worte verlangen, liefert mir dann doch auch manchmal wieder den Beweis, daß mein Vortrag nicht so ganz kalt läßt, wie es mir wohl scheint, und daß meine Zuhörer daraus doch einigen Nutzen schöpfen, das erkenne ich an dem Gefallen, den sie daran finden. Darum geht auch mein reges Streben dahin, es in der Ausübung dieses Amtes nicht an mir selber fehlen zu lassen, da ich sehe, wie meine Zuhörer das, was ich ihnen biete, so freudig aufnehmen. Aus dem gleichen Grund sollst auch du daraus, daß man so häufig jemanden zur Einführung in den Glauben zu dir weist, entnehmen, daß dein Vortrag anderen durchaus nicht so mißfällt wie dir selber; du sollst es auch nicht für eine verlorene Mühe halten, wenn du das, was du innerlich erfaßt hast, nun nicht nach deinem Wunsch darzustellen vermagst. Es ist auch möglich, daß schon dein Erfassungsvermögen nicht so ist, wie du es dir wünschest. Denn wer schaut in diesem Leben anders als wie in Rätseln und wie durch einen Spiegel1 ? Wird es ja doch selbst der größten Liebe nicht möglich, das irdische Dunkel zu S. 237durchbrechen und in jene ewige Klarheit einzudringen, unter deren Glanz alles Vergängliche hier auf Erden erhellt wird. Weil sich aber die Guten von Tag zu Tag mehr bereiten, jenen Tag zu schauen, den kein Wechsel am Himmel und kein Einbruch der Nacht mehr unterbricht, den kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und der in keines Menschen Herz gedrungen ist2 , so liegt der tiefste Grund, warum uns beim ersten religiösen Unterricht unser Vortrag nicht befriedigt, einfach darin, daß wir wohl Gefallen daran finden, in ungewohnter Weise zu schauen, gegen eine gewöhnliche Darstellung aber Widerwillen empfinden. Dabei ist es Tatsache, daß man auch uns um so lieber zuhört, je mehr wir selber Freude an dem behandelten Gegenstand haben; denn wenn wir freudig gestimmt sind, so wirkt das auf den Fluß der Rede in der Weise ein, daß wir sowohl leichter als auch lieblicher reden. Darum ist es keine so große Leistung, darüber Vorschriften zu geben, womit der Unterricht in den Glaubenslehren anzuheben hat und wie weit er zu führen ist oder wie für Abwechslung in der Darbietung zu sorgen ist, so daß diese bald kürzer, bald wieder länger, immer aber etwas Ganzes und in sich Abgerundetes sei, oder was man kürzer, was hingegen wieder ausführlicher behandeln muß: aber wie es anzustellen ist, daß der Katechet mit der größtmöglichen Freudigkeit lehre — denn je größer diese ist, um so lieber wird man ihm zuhören — das ist es, worauf alles ankommt. Die Notwendigkeit einer solchen Stimmung liegt eigentlich auf der Hand; denn wenn Gott schon beim leiblichen Almosen einen fröhlichen Geber lieb hat3 , wieviel mehr bei einem geistigen! Diese Freudigkeit aber zur rechten Stunde zu geben, das vermag nur die Barmherzigkeit dessen, der solche Befehle gegeben hat.
So will ich denn, da ich weiß, daß dies dein Wunsch ist, zuerst von der Art und Weise des erzählenden Vortrages [narratio4 ] handeln, sodann von der Weise, die S. 238Gebote einzuschärfen und zu ihrer Befolgung zu ermuntern und schließlich von der Erwerbung der besprochenen Freudigkeit. Das gebe Gott!
